Hier sollte es doch mal weitergehen, oder? Aber passend zum Buchstaben C ist mein Leben aktuell einfach das größte Chaos überhaupt. Daher passt das Wort „Chaos“ auch perfekt in mein Lebens-ABC. Denn wer mich kennt, weiß: Bei mir regiert das Chaos.
Chaos bestimmte schon immer mein Leben
Aufräumen? Da hatten meine Eltern schon immer Probleme mit mir. Ich konnte einfach nie anfangen. Ich wusste nicht, wohin mit den Dingen, was wegkann, hatte keine Struktur und war schnell überfordert – mit mir selbst und mit der Welt. Damit ich das Chaos nicht ständig vor Augen hatte, habe ich es im Kleiderschrank, unter dem Bett oder in Kisten versteckt. Ich wusste immer, was theoretisch gemacht werden müsste, aber mit dem Anfangen tat ich mich schwer. Das Chaos, das ich im Kopf hatte, herrschte auch außerhalb. Wohlgefühlt habe ich mich damit nie – im Gegenteil: Ich fühlte mich oft alleingelassen. Niemand hat mir geholfen, dieses Chaos strukturiert zu beseitigen oder mir hilfreiche Tricks gezeigt. Niemand, mit dem ich gemeinsam angepackt hätte. Dafür gab es Kritik, Strafen, Ignoranz und das Gefühl, auf mich allein gestellt zu sein.
Das Chaos war auch immer in meinen Kopf
Gedankenkarussell – das ist extrem anstrengend und begleitet mich mein ganzes Leben. Wenn du ein Wort denkst, erschafft mein Kopf dazu eine ganze Geschichte. Bei mir sind immer hundert Tabs gleichzeitig offen. To-Dos, Projekte, Gedanken, Gefühle – alles schwirrt durcheinander, findet keine Ruhe, will analysiert, zerdacht und geprüft werden. Alles will bis ins Kleinste zerlegt werden, ehe ich etwas angehe. Komischerweise konnte ich aber immer gut organisieren: Geburtstage, Feiern, Abläufe bei Gruppenarbeiten oder das Aufräumen mit meinem Kind koordinieren – das ging! Überraschend, oder? Ich selber schaffe es trotzdem nicht, das bei mir umzusetzen.
Am schlimmsten ist es, wenn ich mich ausruhen sollte. Ich komme nicht zur Ruhe, habe ständig im Kopf, was noch zu tun wäre, und fühle mich dann faul. Ich hasse dieses Wort, da es mein Leben so oft bestimmt hat … (Selbst hier beim Schreiben herrscht Chaos in meinem Kopf, sodass ich ständig abschweife – sorry!). Diese „Faulheit“ führt dazu, dass noch mehr Gedanken kommen, von „Du bist unfähig“ bis „Du bist einfach nur falsch.“ Ich habe mich immer gefragt: Warum schaffe ich nicht das, was andere scheinbar mühelos erledigen?
„Sabrina kann ihre Sachen nicht ordentlich beisammen haben“
Ein Satz, der sehr oft auf meinen Zeugnissen stand. Denn ja, ich war chaotisch, auch in der Schule. Trotzdem war ich nicht schlecht im Unterricht – trotz des Chaos, obwohl ich oft die Hausaufgaben vergaß. (Und zwar im doppelten Sinne: entweder zu Hause vergessen oder einfach nicht gemacht.) Trotzdem war ich recht gut. Schule bedeutete jedoch auch noch mehr Gedankentaps im Kopf. Ich konnte nicht „nicht zuhören“: Ich hörte die Mitschüler:innen, was draußen passierte, und was vorne gesagt wurde. Und ich vergaß nichts – das war ein Vorteil (und oft auch ein Nachteil, da mein Kopf mit Details überfüllt ist). So flog mir alles zu, ohne viel lernen zu müssen – Hausaufgaben wirkten auf mich überflüssig und verschwanden im Chaos meiner Gedanken.
Ich und Wohnungen
Das dort riesiges Chaos herrschte, muss ich wohl nicht extra erwähnen? Ich wusste nie, wie ich anfangen sollte, und Hilfe gab es ebenfalls nicht. Vor allem wurde von mir als Frau immer erwartet, alles allein zu schaffen. Nicht mein Ex bekam Kritik für den „schlechten“ Haushalt – nicht wir gemeinsam, immer nur ich. Es spielte keine Rolle, ob wir beide zur Schule gingen, beide ein Praktikum machten – ich war verantwortlich. Sogar nach der Geburt unseres Kindes, frisch aus dem Krankenhaus, hieß es: „Wie sieht’s denn hier aus? Ich nehme dir den Kleinen ab, dann kannst du mal aufräumen.“ Dass ich gerade sechs Tage im Krankenhaus war und mitten im Wochenbett, war egal. Ich musste funktionieren. Man drohte mir sogar mit dem Jugendamt, wenn ich „nicht besser werde“. Dass ich zu dem Zeitpunkt auch noch Vollzeit-Studentin war? Egal. Und wie meine alten Leser:innen wissen – das Studium habe ich nie abschließen können: zu viel Druck, zu wenig Unterstützung.
Es wurde nicht besser.
Vielleicht ein bisschen von Wohnung zu Wohnung (insgesamt sieben!), aber wenn ich an die letzte denke, als die Firma der Versicherung alles einlagerte – wie viele Sachen das waren! – erkenne ich: Es wurde nicht wirklich besser. Ich habe nur gelernt, Dinge aus den Augen zu räumen.
Mein Leben war bisher immer Chaos
Wenn ich zurückblicke, gab es nie wirklich Struktur, nie einen roten Faden. Seit September letzten Jahres weiß ich endlich, warum. Die Schule habe ich gut gemeistert – da wurde einem ja vorgeschrieben, wie, wann und was man lernen muss, vieles war vorgegeben. Die erste Ausbildung lief eigentlich auch gut, bis die Ausbilderin eifersüchtig wurde, weil der Chef mir Aufgaben anvertraute, die nicht für Azubis vorgesehen waren. So zog sich das durch: Ich startete immer wieder neu, konnte mich für viele Dinge begeistern, aber nie dauerhaft mit nervigen Aufgaben identifizieren. Privat zeigte sich das Chaos vor allem in Freundschaften und Beziehungen: Ich vergaß zu antworten, zuzusagen, Treffen einzuhalten, war oft schnell verletzt und verschloss mich weiter.
Heute weiß ich: Das alles ist auf die unentdeckte ADHS zurückzuführen. Einfacher wird es damit aber auch nicht. Jetzt kommen zum ohnehin vollen Kopf neue Gedanken dazu – zum Beispiel wie ich vieles hätte anders machen oder mich besser erklären sollen. Ich war eben die Chaotin. Die, die angeblich nie an andere denkt. Das stimmt nicht – und macht mich noch immer traurig.
Viele Umzüge – Wann komme ich an?
Dazu kommt, dass ich nie Glück mit Wohnungen hatte. Die Erste? Lüftungslöcher in den Wänden – das Schlafzimmer wurde nie warm, LKWs beladen mit Getränkekisten fuhren unter dem Schlafzimmer durch (Es war eine Einfahrt zu einem Getränkelager unter unserer Wohnung). Stress pur. Über falsch verkabelte Stromzähler will ich gar nicht erst anfangen. Die zweite Wohnung? Zwischen zwei Krankenhäusern – Tag und Nacht Rettungswagenlärm, nie ruhige Minuten. Ein Vermieter, der einfach den Keller leer räumte („versehentlich“). Die dritte war okay, aber dort ließ ich mich überreden, Opas Wohnung zu übernehmen – größter Fehler, denn die Nachbarn hassten Kinder. Drohungen, mehrmals wurde die Polizei gerufen (die sich kaputt lachte) und das Jugendamt (die ebenfalls keinen Grund zum Handeln sahen und den Herrn lachend fragte, wie ein sechs Monate altes Kind denn bitteschön nachts Fußball spielen sollte.). Nichts half, nichts wurde besser.
Die fünfte Wohnung? Vermieter verrechnete sich bei den Nebenkosten, wir mussten ausziehen, bekamen am Ende aber mehr Geld zurück, als die Mieterhöhung gewesen wäre. Nummer sechs war okay, aber wieder Straßenlärm. Allerdings: Das erste Mal Glück mit Vermieter und Nachbarn. Da habe ich auch länger gewohnt, nach der Trennung wollte ich da aber auch weg, Neuanfangen. Und jetzt? Ich sage nur Brand. Zur Ruhe kommen? Kaum möglich. Wir ziehen zwar zurück, aber ob der neue Vermieter wegen Eigenbedarf kündigt, bleibt abzuwarten. Dabei ist es immer noch einfach unsere Traumwohnung.
Wie du siehst: Chaos in jeder Lebenslage
Das Chaos bestimmt mich, macht mich aus. Es ist anstrengend, macht einsam und müde, aber auch ruhelos. Dank der ADHS-Medikamente ist mein Kopf inzwischen etwas leiser. Aber ich muss lernen, Masken abzulegen, das Chaos zu sortieren, anzunehmen, das Beste daraus zu machen und es als Teil meiner selbst zu betrachten. Nicht mehr nur kämpfen, sondern das Chaos vielleicht als Stärke nutzen: Ein bisschen Chaos macht mich immerhin kreativ und ermöglicht es mir, so einen Beitrag wie diesen ohne Leitfaden aus dem Kopf zu tippen. Ich bin eben Chaos. Und vielleicht ist das gar nicht so schlecht!
Fazit
Mein Leben ist chaotisch, aber das Chaos hat mir auch Freude bereitet, Menschen in mein Leben gespült, die ich sonst nie getroffen hätte. Es hat mir viel abverlangt, mich aber auch immer weitergebracht. Ich muss nur noch lernen, das Chaos nicht als etwas Negatives zu sehen – und vor allem meinen Kindern nicht die gleichen Schuldgefühle zu vermitteln, wie ich sie deswegen bekommen habe.
Das Lebens-ABC wurde von Teufel100 ins Leben gerufen, mehr dazu auf seinen Blog.
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